Die tödliche Macht der Worte
Lesung/ XOX-Theater-Produktion“Empfänger unbekannt“ zu Gast im Museum Kurhaus. Kooperations-Premiere
„Wer ist dieser Adolf Hitler“, fragt Max Eisenstein zu Beginn des Briefwechsels mit seinem Freund und Kompagnon Martin Schulze. Mit noch harmlos anmutenden Fragen und Alltagsschilderungen beginnt der Austausch zwischen den beiden Briefautoren. Der Jude Max, der die gemeinsame Galerie weiterführt, während Martin zurück nach Deutschland gezogen ist, beginnt schließlich kritischer zu fragen und um Auskunft zu bitten. Und in Martins Briefantworten über Wohlstand und Gedeihen der Familie mischen sich Naziparolen und eine braune Gesinnung, deren Deutlichkeit nicht nur Max das Schaudern lehrt. Unter dem Titel „Adressat unbekannt“ erschien schließlich auch in Deutschland dieser knappe, fiktive Briefroman der amerikanischen Autorin Kressmann Taylor (!903-1996), die diesen 1938 in einer Zeitung veröffentlichte. Zu Beginn der Lesung, erstmals im Museum Kurhaus Kleve, erinnerte XOX-Theater-Regisseur Wolfgang Paterok an die Machtergreifung Hitlers, deren 70. Jahrestag nun Anlass war für eine Bühnenfassung mit Thomas Ruffmann in der Rolle des Martin Schulze und Werner Zenker als Max Eisenstein. Mit angemessen reduzierten Mitteln – die beiden Männer an zwei Tischen vor den vier Kreideakten von Stephan Balkenhol, dazu Theaterscheinwerfer und für jeden ein Glas Wasser – überzeugte beider Vortrag im Rollenwechsel der Briefe von November 1932 bis März 1934. Zunächst schleichend, dann vehement entwickelt sich zwischen den Protagonisten eine Dramaturgie, die Freunde zu Feinden und letztlich das Opfer zum Täter macht. Am Judenhasser Martin, mitschuldig am Tod von Max‘ Schwester Griselle, der den Briefkontakt zum jüdischen Geschäftsfreund abrupt abbrechen möchte, rächt Max sich mit Geschäftsberichten über den Kunsthandel und geplante Projekte, die in ihrer pseudoverschlüsselten Form der Nazi-Zensur höchst verdächtig vorkommen – und Martin schließlich zum Verhängnis werden. „Empfänger unbekannt“, dieser sonst nur amtliche Vermerk des Poststempels, wird auf dem Briefumschlag zu einer Art Aktenstück über ein gefälltes Todesurteil. Die Macht der Worte in einer ihrer krassesten Formen setzten Zenker und Ruffmann mit Ausdruck, teils mit erschrecckender Festigkeit der Stimme um. Dass es immer das Persönliche ist, das einen zutiefst erschüttert, wurde dem leider kleinen Publikum auf eindringliche Weise klar gemacht und relativierte den plakativen Tenor der amerikanischen Sicht zugunsten des Inhalts. (hin)