Hilfe, wir bekommen Besuch
von Andreas Daams
„Szenen einer Ehe“, „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ – an diese großen Klassiker möchte man denken, wenn man „Drei Mal Leben“ sieht, das jetzt vom Ensemble des Klever XOX-Theaters aufgeführt wurde. Doch Erfolgsautorin Yasmina Reza hat das an sich bittere Thema der Selbstzerfleischung in und durch die Ehe in eine smarte Versuchsanordnung verwandelt und mit zynisch-witzigen Ingredienzien angereichert, so dass eine sehr unterhaltsame Komödie mit Boulevard-Einschlag dabei herauskommt. Am Anfang sitzt Sonja vor einem Stapel Akten, den sie zu bearbeiten hat. Eine Power-Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist – sehr nuanciert ausgespielt von Dagmar Fischer. Ihr Mann, ein Astrophysiker, steht kurz vor der Veröffentlichung einer Arbeit, die seiner eingerosteten Karriere Auftrieb verschaffen soll. Am nächsten Abend werden wichtige Gäste erwartet: Hubert (Michael Freiss), der angebliche Mentor Henris, samt ehefrau Inès (Agnes Bröker). Doch die Gäste kommen einen Tag zu früh. Ein Alptraum. Es gibt nichts zu essen, Sonja hat bereits ihren Morgenrock angezogen, und nebenan quengelt der sechsjährige Sohn. Und zu allem Unglück verkündet Hubert als erstes, dass Henris Arbeitsthema soeben von einem Konkurrenzforscher abgehandelt wurde. Versuchsanordnungen sind seit einigen Jahren vor allem im Film populär: In „Smoking/ No Smoking“ von Alain Resnais beispielsweise verändert sich die Handlung je nachdem, ob die Hauptperson an einer bestimmten Stelle eine Zigarette anzündet oder nicht. „Lola rennt“ ist ein noch bekannteres Beispiel. „Drei Mal Leben“ spielt einen Ehe-Abend mit Gästen drei Mal durch und verändert die Ausgangsbedingungen dabei nur geringfügig. Dass eigentlich alle drei Durchläufe auf ihre sehr spezielle Weise ins Chaos abgleiten – vom offenen Streit bis zum Trübsinn ist alles drin -, macht das Stück komisch. Der Zuschauer kennt nämlich die Bausteine der Handlung und des Hasses schon bald und wartet nur darauf, dass die Ehepaare sich ihre Bosheiten untereinander und gegenseitig um die Ohren schlagen. Wiedererkennungseffekte nicht ausgeschlossen. Regisseur Wolfgang Paterok hat mit seinen vier hervorragenden Darstellern einen furiosen Theaterabend auf die Bühne gezaubert, der sich – jenseits niederrheinische Gemütlichkeit – ganz aufs Wesentliche konzentriert. Das Begeisterte Premierenpublikum dankte mit langem Applaus.
Komödie „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza spielt im Klever XOX-Theater
Neues Leben, neues Glück KLEVE. Was wäre es doch schön, wenn man manche Abende einfach zurückspulen und noch mal anders (er)leben könnte. Diese Möglichkeit bietet Ihnen das neue Theaterstück des XOX-Theater Kleve. „Drei Mal‘ Leben“ heißt die Komödie der Französin Yasmina Reza, die das Ensemble unter der Regie von Wolfgang Paterok im XOX-Theater aufführte. Vor dem Einschlafen quält der sechsjährige Sohn seine Eltern mit immer neuen Wünschen nach Keksen, Äpfeln oder anderen Schmuseeinheiten. Die unterschiedlichen Erziehungsmethoden der Eltern prallen aufeinander. Es endet im wüsten Streit. Bis dahin ist sich das Publikum noch nicht so ganz sicher, ob es tatsächlich im Theater sitzt oder noch zu Hause. Zu allem Überdruss kündigt sich auch noch unerwarteter Besuch an. Raffiniert und schauspielerisch gekonnt dargestellt durch eine filmische Einlage, die leider nur einmal eingesetzt wurde. Die befreundeten Paare machen sich gegenseitig nieder, verbünden sich erneut, um im nächsten Moment wieder die Seiten zu wechseln. Ein schaurig-schönes Beziehungsdrama. Auf der einen Seite der labil-linkische Forschungsbeauftragte Henri (Thomas Freiss), der von seiner klugen und eher kühlen Frau Sonja (Dagmar Fischer) unterstützt wird. Auf der anderen Seite der Macho-Mann Hubert (Michel Freiss), ein bekannter Wissenschaftler, der stets seine sinnlich naive Frau Ines (Agnes Broker) mit den Worten „Halt dich raus, Ines“ niedermacht. Der gemeinsame Abend endet mit einem Fiasko. Dann beginnt alles nochmals von vorn. Dieselben Charaktere, aber in anderer Gemütsverfassung: Die Eltern lassen sich nicht mehr von ihrem Kind tyrannisieren, die Paare gehen wesentlich offener und direkter miteinander um. Es wirkt so, als würden sie nun aussprechen, was vorher nur gedacht wurde. Eine angenehme Klarheit. Der verklemmte Henri wird dank Alkohol richtig lustig. Er braucht sich nicht mehr klein zu machen vor dem bekannten Kollegen. In seinem Sinnenrausch verbündet er sich emotional mit der ebenfalls angeheiterten Ines, deren Lachen auf das Publikum sehr ansteckend wirkt. Auch beim dritten Mal Leben hat sich wieder einiges geändert: neues Leben, neues Glück. Fast angestrengt versucht man alle Veränderungen wahrzunehmen und einzusortieren. Bis ins Unendliche könnte man dieses Spielchen fortsetzen. Es ließe sich immer noch etwas ändern… Auch für die Schauspieler eine großartige Leistung, da sie genau wissen müssen, welches Leben sich momentan abspielt. Belohnt wurde die Aufführung mit lang anhaltendem Applaus. Weitere Aufführungen:23./30.1l. /14.12. jeweils um 20 Uhr im XOX-Theater Karten-Bestellung unter Tel: 0 28 21/7 87 55. EVA MARIA STAUDENMAIER
Alles ist möglich
Das XOX-Theater zeigt die Komödie „Drei Mal Leben“ – ein Genuss.
Das Kind ist ein echter Kotzbrocken. Es weigert sich, einzuschlafen, verlangt ein Nachthupferl nach dem anderen, kommandiert seine Eltern herum und heult trotzdem wie ein Schlosshund. Der Mann ist eine Mimose, verhätschelt den Sprössling. Die Frau ist eine Karriereweib, von Sohn und Mann genervt. Keine gute Voraussetzungen für einen schönen Abend. Und wenn dann noch Gäste zu Besuch kommen, die eigentlich fürstlich bewirtet werden sollten, aber leider unerwartet einen Tag zu früh erscheinen – dann ist das Chaos perfekt. Und wie sollte der Abend anders enden als in einem Desaster, bei dem sich die Gastgeber lächerlich machen, die Gäste pikiert sind und die Karriere des Mannes zerstört ist? So spielt das Leben gelegentlich. Manchmal aber auch nicht. Und das ist es, was Yasmina Reza in dem Theaterstück „Drei mal Leben“, das am Samstag im Klever XOX-Theater aufgeführt wurde, zeigt. Die Personen und Zutaten sind die selben, nur wird der Abend drei mal durchgespielt – mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Beim zweiten Mal ist das Kind schon weniger nervig, die Frau nicht gestresst, der Mann ist durchsetzungsfähiger und küsst seinem vorgesetzten Kollegen nicht mehr die Füße. Sondern traut sich, dessen hochtrabende Art zu entlarven. So dass am Ende das Gastehepaar beschämt nach Hause torkelt. Und beim dritten Mal ist das Söhnchen engelsgleich, die Unterhaltung mit den Gästen angeregt, die Karriere des Mannes gerettet. Nur gering geänderte Ausgangspunkte, aber solch große Wirkung. Ob das wahre Leben tatsächlich eine solche Bandbreite an Möglichkeiten bietet, ist die Frage. Keine Frage aber, dass die Vorstellung des Klever Ensembles unter Regie von Wolfgang Paterok ein Genuss für die Zuschauer war. Vor allem Michael Freiss spielte die köstliche Überlegenheit des Hubert wunderbar aus, Agnes Bröker legte als seine Frau Inès eine überzeugend entwaffnende Naivität an den Tag. Die Streitereien der Paare mit- und untereinander, Erziehungsfragen, Annäherungsversuche und Machtspielchen machen die Komödie sehenswert. Allein schon die netten Wortschöpfungen, die das Buch bietet – „ich fühle mich von einer kleinen Einsamkeit heimgesucht“ oder „meine Freunde gleiten in die Erbärmlichkeit hinab“ – lohnen den Besuch. Letzte Chance: 5. April, 20 Uhr. 16.03.2003 RUTH SCHNEEBERGER