Gute Menschen, die Böses tun
Erste Premiere in der neuen Spielzeit.
Drei kurze Stücke über das Töten im XOX-Theater. Schonungslos.
von Klaus Hübner
KLEVE. Schon das Bühnenbild lenkte die Sicht des Zuschauers auf den Kern: das Wort. In einer harmlosen, distanzierten, fast reportagehaft gefärbten, keine Emotionen zulassenden Sprache gekleidet, tauchten die vier Charaktere in „Bash. Stücke der letzten Tage“ von Neil LaBute aus der Masse auf und führten die im Verborgenen blühenden Schattenseiten der Existenz vor. Der amerikanische Autor LaBute packt radikal die menschlichen Übel an der Wurzel, radikal, eine schonungslose Offenlegung einer verlogenen Bürgerlichkeit.
„Eins – Iphigenie in Orem“: Der Mitteilungsdrang des Geschäftsmanns mormonischen Glaubens (Michael Schläger) trifft einen imaginären Barbesucher, der die Geschichte vom Tod des Babys Emma in kühlen „Business“-Formulierungen hört. Emma ist erstickt, ein Unfall? Michael Schläger spielt den jungen Vater als Karrieretypen, überlegt, emotionslos, mit erschreckend zynischer Grundhaltung. Angeblich steht er auf der Liste zu entlassender Mitarbeiter. Ein Freund stürzt ihn mit dieser Mitteilung in Existenzängste, die letztlich den vorsätzlich herbeigeführten Tod des Kindes auslösen. Der Vater ist dem Grunde nach ein Gutmensch, der jedoch aus scheinbar rationalen Motiven zum Mörder wird. Es „wäre Verschwendung gewesen“, das Kind in der wirtschaftlich schwieriger werdenden Situation überleben zu lassen.
„Zwei – Eine Meute von Heiligen“: Drei befreundete Paare reisen zum Vergnügen von Boston nach New York. Sue (Julia Kors) und John (Thomas Freiss) sind verliebt, ihre Zukunft von Freuden überstrahlt. Die Schattenseite liegt in Johns Gewaltbereitschaft, die am Ende ein Schwuler im Centralpark mit dem Leben bezahlt. Auch hier: das Motiv erschreckend „normal“: Was besonders niederschmettert: Unrechtsbewusstsein ist ein Fremdwort.
„Drei – Medea redux“: Eine Mutter als Mörderin ihres 14-jährigen Sohnes, den sie im Alter von 14 Jahren zur Welt brachte. Der Verführer und Vater – ihr Lehrer. Die junge Frau (Annika Hüsing), vom Erzeuger vor der Geburt des Kindes sitzen gelassen, stimmt einem Treffen nach vielen Jahren zu. Der Vater liebt den Sohn abgöttisch, ohne ihn je gesehen zu haben. Annika Hüsing erzählt darstellerisch ausgezeichnet aus der Gefängniszelle heraus, wie sie Billy aus Rache am Vater in der Badewanne tötet.
Die Inszenierung von Wolfgang Paterok hätte mehr Premierenpublikum verdient.
Die Welt aus dem Lot
von Matthias Grass
Es sind drei kurze Stücke über das Töten, die derzeit auf der Bühne des Klever XOX-Theaters faszinieren. Beiläufig, wie nebenher oder gezielt haben anscheinend normale Menschen gemordet. Normalbürger, die völlig normal von diesem Kapitalverbrechen erzählen.
KLEVE „Schwere Kost, aber ein starkes Stück“, versprach Wolfgang Paterok. Der Chef und Regisseur des Klever Privattheaters in der XOX hatte nicht zuviel versprochen: Es war ein starkes Stück. Neil LaButes „bash – stücke der letzten tage“ sind im Grunde drei Stücke, die durch die „schwere Kost“ geeint werden: Es geht um Mord. Kaltblütig, fast brutal ausgeführt. Drei Akte, drei Morde. Dreimal sind es Menschen aus bestem bürgerlichem Milieu, die morden: Ein Banker, ein Nachwuchs-Mediziner. Und dann ist da noch die Schülerin aus gutem Haus. Alle sind gläubig, Mormonen. Alle morden erbarmungslos und kaltblütig. Das Perfide: Sie haben nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Kurz: Es tun sich Abgründe auf auf der Bühne des XOX-Theaters. „bash“ wurde inzwischen an über 30 Bühnen inszeniert – wird aber nur für professionelle Theater genehmigt. Ein Ritterschlag für das ehrenamtlich spielende XOX-Theater, dass der Verlag das Stück für die Klever Bühne freigegeben hat.
Auch in Kleve bleibt die Inszenierung puristisch: Die Bühne fast leer, ein langes Samt-Tuch zieht einen blutroten Streifen über die Bühne, legt sich über Stühle und Hocker. Im dritten Bild fehlt auch das Tuch. Was zählt ist das Wort. Die Beichte des Bänkers (Michael Schläger), der seine jüngste Tochter umgebracht hat. Fein der Anzug, den er trägt, das weiße Hemd leuchtend wie die weiße Weste – so blutbesudelt sie letztlich auch ist.
Dann sind da die beiden jungen Nachwuchs-Akademiker; er aggressiv, immer wieder zu brutalen Attacken neigend, sie die kleine Naive, die ihn anhimmelt. Und sich von einem Tropfen Blut auf seinem weißen Hemd so erregen lässt . . . Schön wie Julia Kors und Thomas Freiss aneinander vorbeireden, wie sie die Weite der leeren Bühne nutzen, wie plötzlich Mr. Hyde im Dr. Jekyll wach wird. Diesen zweiten Akt überschrieb LaBute als „Meute von Heiligen“. Drei Mormonen sind die Heiligen, die als Meute in einem Pissoir im Central Park brutal einen Homosexuellen erschlagen. Bilder der Münchner U-Bahn-Schläger tauchen im Kopf auf – aber auch Bilder aus der klassischen Tragödien. Drischt da nicht der junge Ödipus auf seinen Vater ein?
Klassisch auch der Dritte Akt des Stücks: „Medea Redux“ zeigt die Rächerin, die ihren einst Geliebten ins Unglück stürzt, sein Kind umbringt, das ihres ist. Sie ist die einzige, die für ihre Verbrechen büßen wird. Annika Hüsing ist dabei die Entdeckung des Stücks – genial erzählt sie hinter dem abgewetzten Verhörtisch ihre Geschichte, fahrig ihre Bewegung, grimmig die Gesichtszüge, wenn’s um die Rache geht. Ein starkes Stück, harte Kost. Paterok hat sein Versprechen gehalten mit diesen drei Stücken vom beiläufigen Töten. Langer Applaus nach einer „Schreck“-Minute.