Trio-Infernale in einer Wüstenfabrik
Das XOX-Theater feierte unter der Regie von Wolfgang Paterok mit Richard Dressers „Unter der Gürtellinie“ Premiere
VON MATTHIAS GRASS
Eigentlich ist es ein todtrauriges Stück, das da irgendwo im Nirgendwo einer gottverlassenen Wüste in irgendeiner Fabrik spielt. Mit drei Männern, die zu einer Zweckgemeinschaft zusammengeschweißt werden, die einander belauern, die kein Vertrauen zueinander haben, die sich hintergehen, Ein Chef, zwei Inspektoren, der eine altgedient, der andere neu und hungrig. Und doch bestimmen Lacher über absurde wie deftige Situationen, über Intrigen, die geschmiedet werden, das Stück, das jetzt im Klever XOX-Theater Premiere feierte.
Richard Dressers „Unter der Gürtellinie“ hat Wolfgang Paterok für diese Saison ausgesucht. Das US-amerikanische Stück erzählt vom Verhältnis der Menschen zueinander, von ihren Abhängigkeiten: es geht um Lüge und Demütigung, Verrat und Verbrüderung. Man schmeichelt einander nur, um im nächsten Satz brutal den Gegenüber zu erniedrigen.
Man schlägt vornehmlich unter die Gürtellinie in diesem Trio-Infernale unter der Käseglocke einer Fabrik, von der keiner weiß, was sie fabriziert. Es gibt zwar Zahlen von Einheiten, aber was die Einheiten darstellen, weiß keiner. Interessiert auch nicht wirklich: Die Kapitalismus.Kritik, die Kritik an modernen Produktionsprozessen ist in dem 19995 erstaufgeführten Stück eher das Nebengeräusch. Es geht um den Menschen, der hier wie in einer Versuchsanordnung des anderen Wolf ist und bleibt – trotz aller Komik und deftiger Groteske, die das Stück bietet.
Manfred Küper ist Dobbitt, der Neue. Der Mann, der noch eine Karrierevor sich zu haben glaubt. Der zunächst ein bissschen tüddelig wirkt, wie fehl am Platze. Der die Freundschaft, das Miteinanderzu suchen scheint, tatsächlich jedoch genauso Täter ist, wie die beiden anderen. Er habe „ausgezeichnete Zeugnisse“ heißt es.
York Dehnen spielt den altgedienten. desillusionierten Hanrahan, bringt den unberechenbaren Zyniker mit dem weichen Kern auf die Bühne, der auf der einen Seite explodiert, tobt, auf der anderen Seite wie paranoid um jede marginalie kämpft, die seine Position in dem Dreigefüge ändern könnte. So ringt er um die Anzahl der Piepser, die ihm oder Dobbit zum Chef rufen.
Ernst Hanßen macht diesen Chef, Merkin, der sich anbiedert und dennoch beide schamlos für die eigene, letztlich gescheiterte Karriere ausnutzt. Manchmal sagen allein sein Nosferatu-langen Hände mehr als tausen Worte über den Chef, der vom Blut seiner Mitarbeiter lebt.
Allerdings waren die drei bei der Premiere noch so auf den Text konzentriert, dass nicht alle Pointen, nicht alle „shot downs“ auf den Punkt saßen. Und doch: Das Spiel beindruckte schon jetzt. Es arbeitete den genußvoll-verbalen Tritt unter die Gürtellinie heraus, wennHanrahan Intimes über Dobbits Frau Kathrin verbreitet. Das Spiel erzählte unter der Regie von Wolfgang Paterok von der Sprachlosigkeit der drei, die allein auf sich gestellt aufeinander angewiesen sind und sich doch fast bis aufs Blut bekämpfen. Und es offenbarte letztlich den finalen Betrug, den Dobbit begeht, letztlich wohl doch nur, um sich selbst zu nutzen.
Sehr gut die Bühne. Die drei Szenerien – Büro des Chfs, eine Brücke über den Fluss und schließlich das Zimmer der beiden Inspektoren – sind perfekt auf die freie Fläche der Bühen verteilt. Langer Applaus für die erste Premiere seit einem Jahr..
Fachleute im Ich-Sein
Premiere: Das XOX-Theater führte die Komödie „Unter der Gürtellinie“ von Richard Dresser auf
Andreas Daams
Die Fabrik liegt in der Wüste, eingezäunt und von Wachtposten umgeben. Draußen fließt ein Fluss, je nach Produktionsplan in bunten Farben schillernd. Irgendwann in Richard Dressers Stück „Unter der Gürtellinie“ fängt er an zu brennen. Die drei Männer, von denen das Stück handelt, überlegen, was zu tun ist. Nicht etwa, um Menschen zu retten oder eine Umweltkatastrophe zu verhindern. Sondern um bei den Vorgesetzten zu punkten. Nötig sei eine entschiedene Handlung, sagt Dobbitt, aber eine, die keine Konsequenzen hat.
Genau davon handelt dieses Stück, das man getrost als eine Komödie bezeichnen kann. Am Samstag hatte es Premiere im XOX-Theater. Drei Produktions-Inspektoren leben miteinander und gegeneinander in der Einöde eines kapitalistischen Betriebs, gehen sich auf die Nerven und an die Gurgel, grenzen sich voneinander ab, schmieden Bündnisse, verraten einander. Konsequenzen hat ihr Tun nicht. „Ich glaube, Dobbitt zu sein, muss furchtbar sein“, meint Merkin, der Abteilungsleiter, zu Hanrahan. Der ist ein ungeheurer Egomane. „Ich bin ein weitaus größerer Fachman auf dem Gebiet des Ich-Seins, als Sie es je sein werden“, schleudert er dem Chef entgegen. Und als sein unterwürfiger Kollege Dobbitt ihn fragt, was er eigentlich gegen ihn habe, antwortet er kurz und knapp:“Sie sind zur selben Zeit auf der Welt wie ich.“
Das sind Sätze, die sitzen. Richard Dressers Stück hat zahllose solcher Pointen. Wolfgang Paterok konzentriert die Handlung auf drei einzelne Punkte auf der Bühne, der Rest liegt jeweils im Dunkeln. Büro, Schlafraum, Brücke – hier spielt sich ab, was man wohl das Leben nennen muss, weil es kein anderes Wort für den Seinszustand der Protagonisten gibt. In vielen kurzen Szenen erfährt das Publikum, wie es im Inneren der Figuren aussieht.
York Dehnen verkörpert den zynischen, abgebrühten Hanrahan mit einer ganz wunderbaren Spur von Traurigkeit. Manfred Küper siedelt seinen Dobbitt im Graubereich zwischen Naivität und Bauernschläue an, ohne dabei die Unbeholfenheit der Figur zu karikieren. Komplettiert wird das großartige Schauspieler-Trio von Ernst Hanßen, der den Chefintriganten gibt, auch er ein durch und durch facettenreicher Typ. Wahrscheinlich macht gerade das Uneindeutige, Unscharfe der Personen den Reiz des Stückes aus. Für diese witzig-hintergründige Produktion gab es viel Applaus.