Schöner Wohnen trifft Caritas
von Andreas Daams
Kleve. Um zu sehen, wie irre wir Menschen sind, muss man nicht weit gehen. Meist genügt es, die Augen zu schließen und über sich selbst nachzudenken. Viel lustiger und überdies gesünder für die eigene psychische Befindlichkeit ist die Methode, das Nachdenken auf die Bühne zu verlegen. Aber ist die Bühne wirklich nur ein Ort, auf den wir amüsiert hinunterschauen? Auch unser Leben findet auf der offenen Bühne statt, es ist ein Schattenspiel, behauptet Shakespeare: Wir kasperln unser Stündlein herum, um danach nicht mehr vorzukommen im großen Stück, das Menschheit heißt.
Prosecco und Kartoffelsalat
Über das Herumkasperln sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe witziger Stücke erschienen, und auch der deutsche Autor Lutz Hübner mischt hier erfolgreich mit. Sein „Richtfest“ war jetzt im XOX-Theater zu sehen. Der Soziologieprofessor mit reicher Häusererbin (Michael Schläger und Tina von Gimborn-Abbing) und die schwulen Musiker Frank und Michael (Thomas Brokamp und Ernst Hanßen) wollen mit dem jung-dynamischen Architekten Philipp (Axel Hinnemann) eine Villa errichten, ein Haus für elf Personen.
Aus offenbar mehreren Bewerbern um die freien Wohnungen haben sie noch die Ex-Kneipenwirtin Charlotte (Gudrun Hütten), eine junge Familie (Anke Kühl und Jeroen Blok) und ein biederes Ehepaar (Johannes Himmes, Anke Spieker) samt aufmüpfiger Tochter (Mareike Roeloffs) ausgewählt.
Was der Zuschauer nun zu sehen bekommt, sind die fortgesetzten Zerwürfnisse der Baugemeinschaft. Schöner Wohnen trifft Caritas, teurer Prosecco steht neben Kartoffelsalat in der Tupperdose. Die einen fordern Mitleid und Solidarität ein, die anderen sehen sich von Ignoranten erpresst. Aber auch in den Beziehungen knirscht es, da biedert man sich schon mal lieber bei den Co-Bauherren an, als dass man seine gerade noch mit der Gattin ausverhandelten Interessen verfolgt. „Die Mischung macht‘s, das ist wie beim Studentenfutter“, sagt Michael anfangs noch optimistisch von der bunten Melange. Am Ende ist aus der Eintracht ein bitterböser Kleinkrieg geworden. Man kennt solche Geschichten aus der Wirklichkeit, es gibt sogar eine Institution, wo man sie im Endstadium professionell verhandelt. Man nennt sie Justiz.
Das ändert nichts daran, dass man als Zuschauer grinsend das kleine Höllenspiel auf der Bühne verfolgt: je mehr Zuspitzung, desto besser. Und tatsächlich macht den Akteuren das Stück offensichtlich ebenso großen Spaß wie den Zuschauern das Beobachten. Auf ein Bühnenbild verzichtet Regisseur Wolfgang Paterok zwar gänzlich. Die Bühne ist leer. Wer gerade nicht spielt, sitzt hinten auf einer Bank. Aber man braucht auch keine bunten Vorhänge, man hat ja die explosiven, durchweg gut gespielten Charaktere. Nur gut, denkt man, dass es nicht immer so enden muss wie im Stück. Die Theatertruppe jedenfalls ist einträchtig zusammen geblieben, hat am gemeinsamen Ziel hart gearbeitet und verbeugt sich abschließend vor dem begeisterten Publikum. Bezogen auf den Menschen heißt das: Wir können auch anders.