Glanzvolles Kammerstück für zwei Männer
Von Antje Thimm
KLEVE Ein Witwer trifft am Grab seiner Frau den Mann, der nicht nur vor ihrer Ehe eine Liebesbeziehung zu ihr hatte, sondern auch während der 50 Ehejahre eine „platonische“ Freundschaft zu ihr pflegte – das ist der Zündstoff für das Schauspiel „Halpern & Johnson“ von Lionel Goldstein. Das Klever XOX-Theater nahm damit nach monatelanger Corona-Pause seinen Spielbetrieb wieder auf. York Dehnen und Johannes Himmes als die beiden Kontrahenten begeisterten darin mit brillantem Spiel die Zuschauer. Diese genossen das hochkarätige Stück und den lang ersehnten Theaterabend, wenngleich auf fast leeren Rängen wegen des einzuhaltenden Sicherheitsabstands. Für Ensemblemitglied Ernst Hanßen war es die erste eigenverantwortliche Regiearbeit. Theaterchef Wolfgang Paterok benannte „drei Premieren“: eine Vorstellung unter Corona-Sicherheitsregeln, das Regiedebut Ernst Hanßens und die Premiere des eigentlichen Stücks.
York Dehnen ist Joe Halpern, der Witwer. Er sitzt am noch offenen Grab seiner Frau Flo, da tritt ein Mann hinzu mit Blumen in der Hand. „Ein Blumenstrauß ist nicht angebracht“, sagt Halpern, der Jude ist und für den Blumen Leben bedeuten. Er begreift schrittweise, dass dieser Fremde kein Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung ist, sondern ein Bekannter, ja ein Freund seiner verstorbenen Frau. Sie unterhalten sich, missverstehen sich, denn der Fremde ist ein Künstler der Umschreibungen.
Schließlich kommt die erste harte Wahrheit: er war nicht „ein“ Freund, sondern „der“ Freund. Als nächstes: die Beziehung fand nicht nur vor der Ehe statt. Die beiden gegensätzlichen Männer geraten aneinander. Halpern ist direkt, polternd, raubeinig. Johnson gibt sich feinsinnig, beredt erklärt er, er sei Florence „zugetan“ gewesen. Das geht dem anderen auf die Nerven, wird zum Running Gag: „Ich weiß, was ‚zugetan‘ heißt“. Aber die Geschichte geht weiter, sie treffen sich wieder.
Das zweite Bühnenbild ist eine Parkbank. Vogelgezwitscher im Hintergrund, Johnson mit einem Picknick-Korb. Er hat die Lieblingsbrote und den Lieblingswhiskey des anderen eingepackt, denn er weiß viel über den Ehemannn seiner Freundin. Dieser aber muss immer weiter mit neuen Enthüllungen kämpfen. Sichtlich ringt Halpern mit Wut und Trauer, aber er fragt auch nach. Johnson antwortet, beschreibt die Erinnerung an seine erste Begegnung mit Florence detailgenau. Dann die entscheidende Frage nach den regelmäßigen Treffen. Halpern gerät ins Staunen, über was sie sich unterhalten haben. Politik, Kunst, Musik, Literatur. Er erfährt Unbekanntes über seine Frau. Aber er entlarvt die Beziehung, die er „Interessen-Bla-Bla“ nennt, auch als Betrug. Flo habe ihn hintergangen, wenn auch nicht körperlich.
Johnson ist anderer Meinung: „Florence hatte in ihrer Ehe durch mich einen zweiten Gesprächspartner, eine seltene Chance.“ Die beiden Männer durchleuchten den Konflikt mit Tiefgang, auch mit Humor. Eine überraschende Erkenntnis lockt auch Johnson aus der distinguierten Reserve. Berührend die Erkenntnis beider Männer, dass „die Liebe nie aufhört“ und „Gefühle wichtiger sind als die Lebenszeit“. Am Schluss steht eine Annäherung, die gleichzeitig verblüfft und überzeugt.
York Dehnen als bodenständiger und lebenserfahrener Realitätsmensch und Johannes Himmes als enttäuschter Liebhaber, der sich wortreich in eine Ersatzwelt flüchtete, ergänzen sich hervorragend, ihr Spiel mitreißend, hoch spannend, authentisch in jedem Augenblick.